Der weitverbreitete sprachliche Mythos, dass in der Region Hannover das ‚reine‘ (oder ‚beste‘) Hochdeutsch gesprochen werden würde, wird im Zuge des DFG-Projekts Die Stadtsprache Hannovers erforscht. Die vorliegende Studie untersucht die Sprachsituation in Isernhagen, einer Gemeinde in der Region Hannover, und reiht sich damit mit in die studentischen Vergleichsstudien des Projekts ein. Um die Forschungsfrage zu beantworten, wie sich die Sprache in Isernhagen in Bezug auf Standarddivergenz und Standardkonformität verhält, wurde mit 30 Gewährspersonen ein mehrgliedriges Sprachexperiment durchgeführt. Dieses wurde im Anschluss statistisch ausgewertet. Anhand von sechs niederdeutsch-basierten, linguistischen Variablen konnten damit Aussagen über die standard-divergente Aussprache in Hinblick auf Alter, Geschlecht, Erhebungskontext und linguistische Variable getroffen werden. Ein anschließendes sprachbiografisches Interview, welches mit jeder Gewähr-sperson durchgeführt wurde, ergänzt die Ergebnislage. Dabei zeigte sich, dass die Anwohnenden Isernhagens ein hohes Bewusstsein über die eigene Fähigkeit, Hochdeutsch zu sprechen, besitzen. Dies steht allerdings im Kontrast zur sprachlichen Realität in Isernhagen. Die Auswertung ergab, dass die Gewährspersonen aus Isernhagen die untersuchten Variablen im Durchschnitt zu 47 % standard-divergent realisieren. Dabei wurde die Hebung von langem [ɛː] zu [eː] mit 83 % am häufigsten standarddivergent realisiert. Danach folgt der Gebrauch des Frikativs [f] anstatt der Affrikate [p͜f] mit 61 % standarddivergenter Realisierung. Die Rundung von kurzem [ɪ] zu [ʏ] (48 %), der Erhalt alter Vokalkürze (36 %) und die Realisierung von [ŋ] als [ŋk] (30 %) kommen sehr variabel vor, da sie je nach soziodemografischer Variable unterschiedlich oft auftauchen. Die /g/-Spirantisierung im Aus-laut wird mit 13 % am seltensten standarddivergent realisiert. Es zeigt sich zudem, dass das Alter bei den Variablen Rundung von kurzem [ɪ] zu [ʏ], Erhalt alter Vokalkürze, Realisierung von [ŋ] als [ŋk] und /g/-Spirantisierung im Auslaut einen Einfluss auf die standarddivergente Aussprache hat. Mit Ausnahme der Rundung von kurzem [ɪ] zu [ʏ] werden diese Variablen mit abnehmendem Alter sig-nifikant häufiger standardkonform verwendet. Die Rundung zeigt einen gegenläufigen Trend: Sie wird mit abnehmendem Alter signifikant häufiger standarddivergent realisiert. Insgesamt unterscheidet sich die standarddivergente Aussprache Isernhagens zu den anderen Vergleichsstudien aus dem nordostfälischen Dialektraum nur geringfügig. Der Sprachmythos konnte somit ebenfalls für Isernhagen widerlegt werden.
|