Psychosomatische Medizin durchlief in den vergangenen Jahrzehnten eine ambivalente Entwicklung: Während eines erfolgreichen Institutionalisierungsprozess verblassten ehemals entscheidende Fragen nach dem Zusammenhang von psychischen Konflikten und körperlichen Krankheiten an der Schnittstelle von Körper, Psyche und Gesellschaft, während der Bedarf nach psychosomatischen Behandlungsmethoden stetig steigt.
Dieser Prozess wird in der Dissertation auf zwei Ebenen untersucht. Zunächst werden ausgewählte psychosomatische Konzepte und Modellvorstellungen analysiert, begonnen mit den psychosomatischen Überlegungen Sigmund Freuds. Die Wurzeln der heutigen Psychosomatik waren psychoanalytisch orientiert, die frühe Psychosomatik ging von unbewussten Konflikten und deren Ausdruck im Somatischen aus. Einige Modellvorstellungen betrachten (psycho)somatische Leiden als eine mögliche Art des Ausdrucks drängender sozialer Probleme und den damit verbundenen innerpsychischen Konflikten. Zudem wird in der Dissertation anhand politikwissenschaftlicher Instituionentheorie die institutionelle Entwicklung und Festigung der Psychosomatik in der Bundesrepublik Deutschland untersucht. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Psychosomatik ausgebaut und meist den medizinischen Fakultäten angegliedert, was einen Anpassungsprozess an medizinische Paradigmen vermuten lässt. Der Wandel in den grundlegenden psychosomatischen Annahmen wird anhand ausgewählter Aufsätze aus der Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie diskursanalytisch untersucht. So wird exemplarisch unterstrichen, dass der Fokus der psychosomatischen Medizin im wissenschaftlichen Fachdiskurs sich von den einstmals zentralen psychoanalytischen Perspektiven entfernt und ein möglicher Zusammenhang von Individuum, Gesellschaft und Erkrankung spielt keine nennenswerte Rolle mehr; an diese Stelle tritt ein oftmals diffuser Stressbegriff. Das biopsychosoziale Modell hat zwar an Einfluss gewonnen, wird dem umfassenden Anspruch des eigenen Namens jedoch kaum gerecht. So wird der Blick von sozioökonomischen Konfliktlinien abgelenkt, indem die Verantwortung für das Leiden an gesellschaftlichen Verhältnissen individualisiert und auch in der Psychosomatik biologisiert wird. Durch diese Entwicklung liegt das einzigartige Potenzial der Psychosomatik für ätiologische und therapeutische Fragen zunehmend brach, es könnte aber reaktiviert werden.
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