"Wir haben den Vorteil, dass wir alles mischen können". Zugehörigkeitsfindung russlanddeutscher (Spät-)Aussiedler und ihr Wunsch nach Anerkennung

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Betke, Nelli: "Wir haben den Vorteil, dass wir alles mischen können". Zugehörigkeitsfindung russlanddeutscher (Spät-)Aussiedler und ihr Wunsch nach Anerkennung. Hannover : Gottfried Wilhelm Leibniz Universität, Diss., 2022, 575 S. DOI: https://doi.org/10.15488/12042

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Die Geschichte der russlanddeutschen (Spät-)Aussiedler ist eine Geschichte, die von freiwilliger und unfreiwilliger Migration durchzogen ist und sich in verschiedene Phasen untergliedern lässt: Ihre Migration ist geprägt von Kolonisation, Deportation und Suppression. Die systematische Einwanderung der Deutschen ins Russische Reich begann Ende des 17. Jahrhunderts. Aber erst mit dem Einladungsmanifest von Katharina II. im Jahr 1763 kam es zu einer großen Auswanderungswelle von deutschen Siedlern ins Russische Reich. Die deutschen Siedler sollten bestimmte Ländereien kolonisieren und bewirtschaften. Im Gegenzug wurden ihnen viele Privilegien in Aussicht gestellt – diese wurden mit der Zeit allerdings immer mehr eingeschränkt.Der erste Weltkrieg kann als ein einschneidendes Ereignis in der Geschichte der russlanddeutschen (Spät )Aussiedler gesehen werden: Es erfolgten erste Zwangsmaßnahmen (u. a. Deportationen) gegen ganze Siedlergruppen aufgrund der Herkunft der Deutschen. Mit dem zweiten Weltkrieg kam es zu den größten Deportationswellen: Ein Teil der Russlanddeutschen fiel unter die deutsche Verwaltung. Der andere Teil wurde in den Osten in Arbeitslager deportiert – nach Sibirien, Kasachstan, Kirgisien und Tadschikistan. Mit dem Ende des 2. Weltkrieges setzte 1945 die Repatriierung in die Arbeitslager in Sibirien und Mittelasien ein. Nach Auflösung der Arbeitslager (1948) unterstanden sie bis 1955 der Sonderkommandatur und wurden in ihren Rechten beschnitten. Erst 1955 wurden sie zu „freien Sowjetbürgern“ erklärt und durften reisen, wurden aber nicht rehabilitiert. Sie waren eine ethnische deutsche Minderheit. Zu größerer Anzahl an Ausreisen in die Bundesrepublik kam es erst in den 1970er Jahren. Die größte Ausreiswelle hingegen erfolgte nach dem Zerfall der Sowjetunion. Die Bundesrepublik gewährt seitdem den russlanddeutschen (Spät- )Aussiedlern unter Auflagen rechtlich als Deutsche nach Deutschland einreisen zu können. Sie kehren in ihr ethnisches Heimatland nach mehreren Generationen zurück und können als ethnische Rückkehrmigranten betrachtet werden. Hier setzt die vorliegende Arbeit an.Ethnische Rückwanderungen sind ein globales Phänomen, welche bisher allerdings wenig Aufmerksamkeit bekommen. Diese Aufmerksamkeit sollte ihnen hingegen zukommen, denn noch ist das Verständnis für die ethnischen Minderheiten und deren ethnische Rückkehrmigration zu gering. Dabei kann die Frage gestellt werden, wie bei ethnischen Rückkehrern eine tatsächliche Gleichstellung und nicht nur eine vermeintliche Gleichstellung mit Autochthonen gelingen kann? Dazu muss nicht „über“ ethnische Rückkehrmigranten gesprochen werden, sondern „mit“ ihnen, um ihre Beweggründe besser zu verstehen. Es ist noch zu wenig bekannt, wie ihre Migration, die sich auf Ethnizität begründet, verläuft. Was löst eine ethnische Rückkehrmigration in den Rückkehrern selbst aus? Wie gehen sie mit der Frage der Zugehörigkeit um bzw. wie lösen sie die Frage nach der Zugehörigkeit für sich? Denn ethnische Rückkehrer haben multiple Herkünfte und legen ihren Minderheitenstatus nie ab. Verändern sich, und wenn ja, unter welchen Umständen, ihre Zugehörigkeit(en)? Haben sie multiple Zugehörigkeiten, so wie die Forschung zu Ethnic Return Migration es andeuteten? Oder verlieren sie einen Teil ihrer Zugehörigkeit, wenn sie in das Land der Vorfahren einwandern, so dass nicht von multiplen/hybriden Zugehörigkeiten gesprochen werden kann?Jeder hat das Verlangen und Bedürfnis nach Zugehörigkeit, Verbundenheit und Wertschätzung. Der Verlust von Zugehörigkeit wird problematisch erlebt. Die Frage nach der Zugehörigkeit stellt sich nicht jedem permanent. Sie tritt zu verschiedenen Zeitpunkten mit unterschiedlicher Intensität und Nachdruck auf. So hat die Zugehörigkeitsfrage für ethnische Rückkehrmigranten wie die russlanddeutschen (Spät-)Aussiedler eine andere Qualität und Emotionalität als für Autochthone. Aufgrund ihrer zwei unterschiedlichen Herkunftsländer (ethnisches und geografisches Herkunftsland) und ihrer Ethnizität ist die Frage nach der Zugehörigkeit für russlanddeutsche (Spät-)Aussiedler von besonderer Wichtigkeit.Hier setzt die vorliegende Arbeit an und stellt die differenten Erfahrungen der russlanddeutschen (Spät-)Aussiedler in den Mittelpunkt. Ihre Alltagswirklichkeit und wie sie diese vor dem Hintergrund der Zugehörigkeitsfrage erleben bzw. gestalten, rückt ins Zentrum. Nachgezeichnet werden die Versuche der Verortung der russlanddeutschen (Spät-)Aussiedler mit den entstehenden Widersprüchen in den Bereichen des alltäglichen Lebens und zwar „Zugehörigkeit (Selbstverständnis) und Heimat“, „Sprache“ und „Essen, Einkauf (und Gesundheit)“. Es wird untersucht, welche Zugehörigkeiten sie dabei wie und unter welchen Herausforderungen entwickeln.Die Untersuchung ist methodologisch der qualitativen Forschung zuzuordnen. Es wurden 10 leitfaden- und videogestützte, problemzentrierte Einzelinterviews zur Auswertung herangezogen. Bei der Auswertung der Ergebnisse kam die Methodik und der theoretische Hintergrund der qualitativen Inhaltsanalyse (vgl. Mayring 2010) und ein Teil der Methodologie der Grounded Theory (vgl. Glaser und Strauss 2005) zum Einsatz. Die Ergebnisse legen nahe, dass die russlanddeutschen (Spät )Aussiedler sich innerhalb der vorherrschenden gesellschaftlichen Strukturen in Deutschland individuell verorten. Sie sprechen bei dem Thema Zugehörigkeit reflektiert vom „Mischen“ ihrer Zugehörigkeiten und einer Positionierung des „Dazwischenbewegens“ zwischen den Endpunkten „Deutsch“ und „Russisch/Sowjetisch“, die nicht eindeutig und von außen gesehen nicht widerspruchsfrei erscheint. Sie lassen damit die Frage der Zugehörigkeit offen bzw. problematisieren die unklare Zugehörigkeit. Für die russlanddeutschen (Spät- )Aussiedler selbst ist es nicht ambivalent, die Parallelität bzw. Differenz zwischen „Deutsch“ und „Russisch/Sowjetisch“ zu wahren. Die Differenzen werden partiell in Einklang gebracht, aber nicht aufgelöst, was auf eine gemischte Zugehörigkeit bzw. auf eine „Mosaik-Zugehörigkeit“ und eine Verortung im Widerspruchsraum deutet. Dabei eröffnet speziell „Essen“ eine besondere Perspektive zu dem Konzept der Zugehörigkeit. Denn Essen ist im Vergleich zu den untersuchten Bereichen, bei denen sich diese bewusst thematisierte Ambivalenz des Dazugehörens zeigt, der einzige untersuchte alltägliche Bereich, in dem die ambivalente Zugehörigkeit auch Wertschätzungen und Bereicherungen mit sich bringt. Bei Essen ringen die Befragten nicht um Anerkennung, sondern erfahren Beachtung und Zuspruch von Anderen über ihre „russischen“ Speisen und den Geschmack. An der Unreflektiertheit des Essens lässt sich nuancierter ablesen, wie und wo sich die russlanddeutschen (Spät )Aussiedler zugehörig fühlen. Anhand des Essens kann die gesellschaftliche Stellung der russlanddeutschen (Spät-)Aussiedler besonders gut rekonstruiert werden. Am Essen, speziell Geschmack, lässt sich besonders gut ablesen, mit welcher Qualität und Intensität die russlanddeutschen (Spät )Aussiedler sich zum Deutschen und/oder zum Russischen/Sowjetischen zugehörig fühlen. So zeigt sich, dass die russlanddeutschen (Spät-)Aussiedler sich vom „Russischen/Sowjetischen“ nicht distanzieren können und wollen. Das gibt somit Auskunft über die Zugehörigkeit sowie das Selbstverständnis.Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung sind speziell für die Ethnic Return Migration Forschung, die Aussiedler-, Migrations- und Zugehörigkeitsforschung bedeutsam. Die Ergebnisse sind aber auch jenseits der Wissenschaft interessant für alle, die ihre eigene Sichtweise auf (ethnische) (Rückkehr-)Migranten und ihre Zugehörigkeiten und Verortungen, speziell auf russlanddeutsche (Spät-)Aussiedler, kritisch reflektieren möchten.
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Publikationstyp: DoctoralThesis
Publikationsstatus: publishedVersion
Erstveröffentlichung: 2022-05
Die Publikation erscheint in Sammlung(en):Philosophische Fakultät
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