Der Mensch im Netz Auswirkungen und Stellenwert computervermittelter Kommunikation
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Universität Hannover
www.uni-hannover.de

Fachbereich Literatur- und Sprachwissenschaften

Seminar für Deutsche Literatur und Sprache (sdls)

Seminar: "Internetkommunikation"

Dozent: Prof. Dr. Peter Schlobinski
Mail: schlobi@mbox.sdls.uni-hannover.de

Referat und Hausarbeit von:
Markus Kluba
8.Semester Germanistik und Politik (LG)
Mail: Markus.Kluba@gmx.de

 

 


Inhalt

Einleitung

1. Verändern PC und Internet unseren Alltag?

2. Besonderheiten computervermittelter Kommunikation

3. Nutzertypen und Nutzerverhalten

3.1. Einleitung

3.2. Nutzungsstile

3.3. Identitäten

3.4. Beziehungsbildung per Internet

4.Soziodemographie der Online-Nutzer

4.1. Nutzungsintentionen

4.2. Soziodemographie und Nutzungsintensitä

4.3. Bruttoeinkommen der Onlinenutzer

4.4. Meinungen der Nutzer zu Konsequenzen und Zukunft von Onlinemedien

4.5. Zusammenfassung

5. Modelle gesellschaftlicher Folgen

6. Kommunikation und Gesellschaft

Wie kann es weitergehen? – Ein Fazit

Quellenverzeichnis


 

Einleitung

Der Begriff "computervermittelte Medien" wird häufig so benutzt, dass die Vorstellung naheliegt, dass diese Medien, wie sie uns über Datenträger und vor allem das Internet erreichen, bereits ein feststehendes Phänomen seien. Sie sind aber, zumindest zur Zeit noch, einer stetigen Entwicklung unterworfen, in Bezug auf Technik, Verbreitung und die Art der Nutzung. Auch ist ihr Platz in unserer Gesellschaft längst nicht so festgelegt, wie dies bei den meisten herkömmlichen Medien immer noch der Fall ist.

Die vorliegende Arbeit wird daher zwar auch auf den (derzeitigen) Stellenwert der "neuen Medien" eingehen und neuere empirische Ergebnisse beschreiben und interpretieren, es soll aber vor allem versucht werden, einen theoretischen Ansatz zur Beurteilung möglicher Folgen und Auswirkungen in unserer Gesellschaft zu finden. Dazu soll sowohl auf die Besonderheiten der computervermittelten Kommunikation und ihrer Nutzertypen als auch auf das Verständnis der Kommunikation im Allgemeinen eingegangen werden. Dafür erscheinen mir besonders die Überlegungen Niklas Luhmanns über die Bedeutung von Kommunikation innerhalb seiner Systemtheorie geeignet zu sein, um (vielleicht) feststellen zu können, ob und wie Auswirkungen und Stellenwert computervermittelter Kommunikation vorhergesagt und beurteilt werden können.

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1. Verändern PC und Internet unseren Alltag?

Dass die Verbreitung des PC und der mit ihm verbundenen Medien entscheidenden Einfluss auf unseren Alltag hat und weiterhin haben wird, ist kaum umstritten. Die Art und Weise der möglichen Veränderungen wird jedoch kontrovers diskutiert.

Alltag, das ist die Summe der Bedingungen, unter denen sich Handlungen und Orientierungen von Menschen in ihrer gewohnten Umgebung vollziehen (Klein 1995). In unsere gewohnte Umgebung hat der Computer längst Einzug gehalten. Unsere Handlungen und Orientierungen in unserer gewohnten (und ungewohnten) Umgebung werden von der Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren, bestimmt. Orientierung, das bedeutet u.a. sich zurechtzufinden, sich zu informieren, auf verschiedene Reize aus der Umwelt in der Kombination mit Gedächtnisleistung zu reagieren. Handlung, als zielgerichtete koordinierte Tätigkeit, setzt Orientierung voraus und erzeugt diese gleichzeitig, durch Reaktionen bzw. Ergebnisse, die auf die Handlung folgen. Sowohl Handlung als auch Orientierung sind in einem gesellschaftlichen System nur durch Kommunikation möglich. Damit wird Kommunikation zum maßgeblichen Kriterium, wenn man die möglichen Veränderungen in unserem Alltag betrachten will.

Der PC und die mit ihm verbundenen Medien bieten die neuen Voraussetzungen der computervermittelten Kommunikation (CMC), auf die ich noch genauer eingehen werde, die unseren Alltag, unsere Handlungen, unsere Orientierungen, unsere gewohnte Umgebung verändern können.

Wie können diese Veränderungen unseres (kommunikativen) Alltags aussehen? Als Antwort auf diese Frage hört man oft, dass wir uns durch PC und Internet auf das "Informationszeitalter" zubewegen. Unsere Gesellschaft wird zu einer "Informationsgesellschaft".

Die zeitliche Nähe zum Phänomen der CMC erschwert momentan die Interpretation erheblich. Es gibt daher die verschiedensten Fragen, Befürchtungen und Prognosen.

An der Vielfältigkeit der genannten Punkte zeigt sich, dass die Frage nach der zukünftigen Entwicklung zugleich die interessanteste und schwierigste ist. Die Entwicklung des Computers als Medium ist in ihrer Bedeutung vergleichbar mit anderen weltbewegenden Errungenschaften wie etwa die Erfindung der Dampfmaschine, des Automobils, des Telefons, des Radios, des Fernsehers, der Atomkraft usw. Alle diese Entdeckungen haben gleichermaßen Befürchtungen und Hoffnungen ausgelöst, und selten konnten sich Zeitgenossen die Auswirkungen auf die zukünftige Gesellschaft so vorstellen, wie sie dann später tatsächlich eintrafen. Trotzdem lohnt es sich, Perspektiven zu entwerfen, da es nur so möglich ist, Risiken und Chancen einer neuen Entwicklung tatsächlich zu erkennen und entsprechend zu handeln.

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2. Besonderheiten computervermittelter Kommunikation

Erlebniswelten und Kommunikationssituationen im Internet werden oftmals als "virtuelle Realität" oder "Netzwelten" bezeichnet, um vor allem die Unterscheidung zum wirklichen Leben zu gewährleisten. Mit Recht wird bei diesen Begriffen impliziert, dass sich die Welt im Netz von der Wirklichkeit außerhalb des Netzes unterscheidet. Zu Unrecht wird mit dieser Begrifflichkeit jedoch die Realität der Netzwelten in Zweifel gezogen. Zumindest für die Netzkommunikation, über die wir die Realität des Internets wahrnehmen, kann gesagt werden, dass es sich um "echte" Kommunikation handelt, "durch die wir Wirklichkeiten konstruieren, Identitäten aushandeln, Beziehungen und Gemeinschaften bilden – oder dabei scheitern, wie das auch sonst so üblich ist". (Döring 1997 b)

Gegenüber den herkömmlichen Medien und vor allem der "Face-to-face-Kommunikation" als Grundform der Kommunikation sind bei der CMC veränderte Bedingungen zu beobachten.

Bei der Face-to-face bzw. Body-to-body-Situation sind die KommunikationspartnerInnen kopräsent. Dabei können sowohl verbale als auch nonverbale Botschaften ausgetauscht und alle Sinne beteiligt werden. Mit Hilfe von Kommunikationsmedien kann auf diese Kopräsenz verzichtet werden.

Grafische Darstellung der Arten computervermittelter Kommunikation

Dabei ist zu unterscheiden zwischen der asynchronen Kommunikation, bei der Botschaften aufgezeichnet und zeitverzögert weitergegeben werden, und der synchronen Kommunikation, die eine Verbindung zum Kommunikationspartner herstellt und daher eine unmittelbare Rückkopplung zuläßt.

Der Begriff der CMC ist dabei ein extrem weiter Begriff, da er auf den ersten Blick ganz unterschiedliche Phänomene beschreibt wie Chat, Newsgroup, MUD, E-Mail und das World Wide Web. Die Gemeinsamkeit dieser Phänomene ist jedoch die textbasierte Kommunikation. Trotz technischer Fortschritte besteht der größte Teil der kommunikativen Tätigkeit über dem Computer aus Tippen und Ablesen vom Bildschirm. Nicht textbasierte Kommunikation findet nur am Rande statt. Multimedialität findet man eher bei Informationen, oder – wie persönliche Homepages – als Anlass zur Kommunikation. Die beinahe ausschließliche Textbasierung bedeutet jedoch nicht zwangsläufig eine Einschränkung kommunikativer Möglichkeiten, wie von Kritikern der CMC oft behauptet. Viele Sinneseindrücke können mit Hilfe der Sprache dargestellt bzw. vermittelt werden. Besonders deutlich wird diese performative Funktion von Sprache in MUDs (Cherny 1995). Dort entstehen zum großen Teil lebendige Textwelten, in denen Worte nicht nur auf Dinge verweisen, sondern sie herstellen. Worte beschreiben nicht nur Handlungen, sondern werden zu (virtuellen) Handlungen, weil die Teilnehmer sie als solche verstehen.

In der Textbasierung begründet sich auch eine weitere Besonderheit der CMC. Im Gegensatz zur direkten Kommunikation wird CMC dauerhaft speicherbar. Dies ist von Bedeutung, da Kommunikation im Internet wie E-mail oder Chat durchaus die gleichen Merkmale wie "flüchtige Kommunikation" aufweist und auch häufig als solche gemeint ist. Kann sich nach einem Gespräch ein Kommunikationspartner darauf berufen, dass der andere Kommunikationspartner sich möglicherweise ungenau erinnert, ist dieser Ausweg, aus einer im Sinne des Senders missglückten Kommunikation, bei der CMC oft nicht möglich. Dem Verfasser ist dies beim Schreiben von herkömmlicher schriftlicher Kommunikation eher bewusst als beim Schreiben von E-Mails oder in Chats, da letztere den umgangssprachlichen Gewohnheiten näher stehen. Dies kann zu ungewohnten und ungewollten Konfliktsituationen führen.

Als ein weiteres Merkmal der CMC wird oft eine gewisse Anonymität anfgeführt. Als alleiniger Begriff stellt dies jedoch eher ein Schlagwort dar, das gerne im Zusammenhang mit Kritik an Netzkommunikation genannt wird. Die Anonymität des Netznutzers beinhaltet zweierlei Aspekte.

  1. Der Ursprung einer Kommunikation im Internet kann verschleiert werden. Ein Sender kann sich als jemand ausgeben, der er nicht ist, oder Nachrichten absenden, deren Ursprung nur bedingt zurückverfolgt werden kann. Dies führt beim Umgang mit Information und Kommunikation aus dem Internet beim Empfänger zu einer gewissen Vorsicht. Der Empfänger muss Strategien entwickeln, um sich vor Fehlinformationen oder sogar schädigenden Inhalten (Viren usw.) zu schützen. Dies ist jedoch in herkömmlichen Kommunikationssituationen ähnlich. In einem Gespräch beispielsweise ist es für einen Empfänger normal, nonverbale Anteile einer Kommunikation, zum Teil unbewusst, auch im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit des Gegenübers hin auszuwerten.
  2. Mit Anonymität wird oft auch eine gewisse Einsamkeit verbunden. Besonders deutlich wird dies beim Chatten, wo komplette Identitäten innerhalb von Sekunden gewechselt werden können. "Die Beteiligten präsentieren sich selbst nur sehr ausschnitthaft oder sogar verfälscht und sind umgekehrt kaum in der Lage, ihr Gegenüber richtig einzuschätzen." (Döring 1999, S.465) Die Netznutzerin sitzt allein vor ihrem Computer und surft einsam und anonym durch das Internet, pflegt lediglich virtuelle Kontakte, niemand kann sich ihr wirklich nähern, da ja immer vorgegeben werden kann, jemand ganz anderes zu sein usw. Hier findet seitens der Kritiker der CMC eine moralisch-emotionale Bewertung statt, die einer genaueren empirischen Betrachtung nicht standhält. (vgl. Döring 1999, S.465ff.)

Bill Gates prophezeite, dass durch das Internet alle Menschen miteinander kommunizieren könnten (folglich auch nie mehr einsam sein müssten?) und sich durch diese erweiterte Möglichkeit der Auswahl an Kommunikationspartnern eine Art globales Bewusstsein bilden würde, wodurch sich alle kulturellen Konflikte lösen könnten (Gates 1995).

"Diverse Umfragen im Netz zeigen, dass ein Großteil der (jeweils befragten) Personen mit Netzzugang im Laufe ihrer Netzaktivitäten neue soziale Kontakte anknüpften" (Döring 1999, S.342). Fraglich ist bei diesen Umfragen jedoch, welche Netznutzer tatsächlich erreicht wurden. Es kann beispielsweise unterstellt werden, dass netzinterne Umfragen nur besonders kontaktfreudige Nutzerinnen und Nutzer erreichen. Hinzu kommt noch, dass zum "Kennenlernen" eben mehr gehört als die rein theoretisch vorhandene Möglichkeit der Kommunikation. Zugegeben werden muss jedoch, dass der kompetente Nutzer durch das Internet Möglichkeiten hat, Kommunikationspartner zu erreichen, die er ohne Internet nicht hätte erreichen können. Über entsprechende Newsgroups lassen sich Menschen mit gleichen Interessen erreichen, deren Existenz man sonst nur ahnen könnte. Die Kompetenz, die hierfür nötig ist, ist neben dem finanziellen Aufwand jedoch ein nicht zu unterschätzender limitierender Faktor.

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3. Nutzertypen und Nutzerverhalten

(3.1.-3.3. unter Verwendung der Ausarbeitung von Petra Michaela Glißmann)

3.1. Einleitung

Der Internetler ist ein komplexes Phänomen, auf das in der neuen Literatur, insbesondere seitens Soziologen und Psychologen, verstärkt eingegangen wird. Hierbei werden vornehmlich die Nutzertypen bzw. Nutzungsstile und das Nutzerverhalten beleuchtet. Die folgende Darstellung wird sich ebenfalls mit diesen beiden Aspekten befassen, Selbstdarstellungsmöglichkeiten im Netz skizzieren, einen ganz knappen Ausblick auf die Beziehungsbildung per Internet werfen und dann mit Hilfe von statistischen Forschungen einen Überblick über die Soziodemographie der Internetler geben.

Im folgenden Text werden die Begriffe Internetnutzer, Online-Nutzer und Internetler geschlechtsübergreifend verwendet.

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3.2. Nutzungsstile

In der einschlägigen Literatur werden Internetnutzer wie folgt unterteilt: Newbie und Oldbie, Lurker und Poster, Light User und Heavy User. Die folgende Beschreibung dieser Nutzungstypen ist angelehnt an die Beschreibungen von Carola Schwalm (1998) und Nicola Döring (1997a)

Hierbei bezeichnet Newbie den Neuling, in einer Phase, die als "Internet-Honeymoon" (Döring 1997a, S.324) bezeichnet wird. Der Newbie ist zumeist noch sehr euphorisch, geprägt von einer gewissen Ahnungslosigkeit, was die Möglichkeiten und Gepflogenheiten des Netzes anbelangt. Er zeichnet sich oftmals durch häufige, lange und ausgiebige Aufenthalte im Internet aus.

Nach einer längeren Onlinezeit wird das Internet im Normalfall realistischer eingeschätzt.

Demgegenüber steht der Oldbie, der schon länger im Netz dabei ist. Er verbringt in der Regel weniger Zeit online, da bereits routinierte Suchstrategien vorhanden sind, die den Aufenthalt im Internet verkürzen. Zudem ist der Reiz des Neuen nicht mehr ausschlaggebend.

Unter Lurker versteht man diejenigen Konsumenten, die sich nicht aktiv am Geschehen im Internet beteiligen. Sie nutzen lediglich die Angebote des Netzes, gestalten es aber nicht selber mit.

Die Poster sind Personen, die sich durch aktives Verhalten im Netz kennzeichnen. Das können Betreiber eigener Homepages sein, aber auch Teilnehmer an Mail- und Forumsdiskussionen. Jegliche aktive Form der Gestaltung des Internets wird von Postern betrieben.

Mit dem Begriff Light User werden Internetler bezeichnet, die selten im Internet anzutreffen sind und dann nur gezielt Informationen abrufen.

Die Heavy User hingegen zeichnen sich durch übermäßige Netznutzung aus, die sich in anfänglicher Euphorie oder aber auch mit einem Suchtverhalten erklären lässt.

Bei Personen, die dieses Netzverhalten als persönlichen Lebensstil kultivieren, ist der Begriff "Netizen" gebräuchlich, abgeleitet von "net" (englisch für "Netz") und "citizen" (englisch für "Bürger"). Es handelt sich also sozusagen um einen "Netzbürger", einen Menschen, der im Netz "wohnt".

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3.3. Identitäten

Den Netznutzern stehen 6 Requisiten zur Selbstdarstellung zur Verfügung, zählt man die Art und Weise der Wortwahl als Selbstdarstellungsmittel nicht mit. (vgl. Schwalm, S.77ff.)

  1. Die erste Darstellungsmöglichkeit ist die E-mail-Adresse, die teilweise frei wählbar ist und für den Absender ersichtlich.
  2. Als zweites wäre hier der User-Name zu nennen, also der wirkliche Name des Nutzers, der je nach Provider bei einer E-mail im Absender ersichtlich sein kann.
  3. Eine weitere Möglichkeit, sich selbst im Internet darzustellen, ist der Spitzname, im Internetjargon auch "Nickname" genannt. Hierbei handelt es sich um ein Pseudonym, das der Nutzer bewusst wählen kann und somit seiner beabsichtigten Persönlichkeitsdarstellung gerecht wird.
  4. Als andere Requisite stehen Signaturen zur Verfügung. Das sind Worte, die am Ende einer jeden Mail des Internetlers stehen. Dies können sowohl Adressen (z.B. berufliche Kontaktinformationen), Informationen über die Organisationszugehörigkeit oder auch einfach Mottos oder Aussprüche sein, mit denen der Internetnutzer bestimmte Dinge ausdrücken möchte. Der Phantasie sind hierbei keine Grenzen gesetzt.
  5. Die persönliche Homepage ist die vermutlich offensichtlichste Form der individuellen Darstellung. Hier können beispielsweise eigene Interessengebiete oder auch persönliche Einstellungen präsentiert werden.
  6. Als letzte bewusste Variante der Selbstdarstellung lässt sich die Selbstbeschreibung nennen. Dies ist meistens die Darstellung einer (fiktiven) Identität in MUDs (virtuellen Rollenspielgruppen; MUD = Multi User Dungeons).

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3.4. Beziehungsbildung per Internet

Internetkommunikation kann bestehende Beziehungen unter Kommunikationspartnern verändern, gleichzeitig aber auch das Entstehen neuer Beziehungen herbeiführen. In beiden Fällen sind beziehungsfördernde als auch beziehungsstörende Konstellationen denkbar. Diese Aussage trifft auf Kommunikation, die nicht über das Internet vermittelt wird, ebenso zu, ist also nicht unbedingt netzspezifisch. Spezifisch sind dagegen die Art und die Folgen dieser Auswirkungen.

In bestehenden sozialen Beziehungen kann bei einer wachsenden Bedeutung des Mediums Internet der Ausschluss (beispielsweise aus finanziellen Gründen) von diesem Medium sich auch negativ auf die bestehenden sozialen Kontakte auswirken. Wenn in einer bestehenden sozialen Beziehung beinahe ausschließlich über Internet kommuniziert würde, würde dies die Weiterführung der Beziehung für einen Netzabstinenten ausschließen.

Netzaktive hätten andererseits verstärkt die Möglichkeit, soziale Beziehungen zu pflegen und neu zu knüpfen.

Nicola Döring (1999) unterscheidet in Abhängigkeit von der Persönlichkeitsstruktur drei Arten von Netzkontakten (ebd. S.367).

  1. Eskapistisch – Netzbeziehungen werden vom sonstigen Leben isoliert wahrgenommen und gestaltet.
  2. Kompensatorisch – anderweitig nicht behebbare Kontaktdefizite werden im Netz ausgeglichen.
  3. Supplementär – im Internet entstandene Beziehungen expandieren aus dem Netzzusammenhang; reine Netzbeziehungen ergänzen das bisherige Beziehungsspektrum.

Pauschale Vorwürfe des Beziehungsverlustes bzw. der sozialen Isolation am Computer, aber auch die Annahme, das Internet führe generell zu einer Intensivierung und Erweiterung sozialer Beziehungen, haben sich bisher als nicht haltbar erwiesen.

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4.Soziodemographie der Online-Nutzer

Betrachtet man die möglichen Auswirkungen und den Stellenwert der CMC in unserer Gesellschaft, so ist es notwendig, Sozialstruktur sowie zahlenmäßige Veränderung und Zusammensetzung der CMC nutzenden Bevölkerung zu betrachten. Die ARD/ZDF-Online-Studie hat ermittelt, dass in Deutschland zur Zeit 17,7% der Bevölkerung ab 14 Jahren Online-/Internetanwender sind. Gemessen an der durchschnittlichen Internetanwendung in Europa von 12% liegt Deutschland also im oberen Mittelfeld. Vergleicht man jedoch den Anteil der Online-/Internetanwender mit den Spitzenreitern in Sachen Internetverbreitung wie Nordamerika, Finnland und Schweden mit 40%, wird das Ausmaß des Wachstumspotentials deutlich.

Die aktuelle (1999) Zahl von Online-/Internetanwendern mit 11,2 Millionen Erwachsenen, stellt gegenüber dem Vorjahr (1998), mit 6,6 Millionen, beinahe eine Verdoppelung dar.

Da 72% der bundesdeutschen Onlinenutzer von zu Hause aus auf entsprechende Angebote zugreifen können, wird davon ausgegangen, dass der aktuelle Zuwachs vornehmlich auf private Nutzung zurückzuführen ist.

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4.1. Nutzungsintentionen

Die Begründungen der Nutzer für einen Onlinezugang sind eher gebrauchs- und informationsorientierter Natur. Der Hauptnutzen wird darin gesehen, sich schnell und komfortabel informieren zu können.

Als weitere Motivation kann wohl auch das Motiv "Zeitgeist" gesehen werden. In der ARD/ZDF-Studie gaben 70% an, einfach neugierig darauf gewesen zu sein, oder dass sie "gerne auf dem neuesten Stand der Technik seien" (59%).

Die folgende Grafik zeigt Ergebnisse der Befragung der Nutzer der bayrischen Bürgernetze (1998), die jedoch mit dem Bundesdurchschnitt annähernd übereinstimmen.Arten der www-Nutzung und ihre Häufigkeit

Bei der Internet-Nutzung überwiegt die Informationsrecherche neben dem Herunterladen von Software. Das unterhaltungsorientierte Surfen findet erst an zweiter Stelle statt. Interaktive Spiele finden kaum Beachtung und auch E-Commerce-Anwendungen werden von mehr als der Hälfte der Befragten nicht genutzt.

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4.2. Soziodemographie und Nutzungsintensität

1997/98 wurde der typische Internetnutzer noch als männlich, berufstätig, formal hochgebildet und zwischen 20 und 29 Jahre alt beschrieben. 1999 zeichnete sich ein Strukturwandel im Sinne einer breiteren Streuung der Internetnutzung ab. Sowohl an der Altersstruktur als auch in Bezug auf die Kriterien Bildung, Berufstätigkeit und Geschlecht ist eine zunehmende Verbreitung computervermittelter Kommunikation in breiten Gesellschaftsschichten abzulesen. Besonders deutlich sind die Zuwächse innerhalb der bislang im Internet unterrepräsentierten Gesellschaftsschichten; den über Fünfzigjährigen und der weiblichen Bevölkerung.

   

1997

1998

1999

Geschlecht

Männlich

73%

72%

65 %

 

weiblich

27%

28%

35 %

Alter in Jahren

14-19

7%

11%

13 %

 

20-29

31%

29%

26 %

 

30-39

35%

34%

26 %

 

40-49

18%

17%

18 %

 

50-59

8%

7%

14 %

 

60 Jahre und älter

1%

2%

3 %

Schulbildung

Volksschule

11%

14%

14 %

 

weiterf. Schule ohne Abitur

28%

23%

29 %

 

Abitur

21%

19%

24 %

 

Studium

41%

43%

33 %

Berufstätigkeit

voll berufstätig

69%

63%

61 %

 

teilberufstätig

5%

7%

8 %

 

Auszubildender

4%

4%

3 %

 

Schüler/Student

20%

20%

19 %

 

Rentner/Hausfrau/nicht berufstätig

3%

6%

9 %

Quelle: http://www.das-erste.de/studie ARD/ZDF-Online-Studie 1999

 

Bei der Frage nach dem Stellenwert der computervermittelten Kommunikation ist nicht nur die Soziodemographie von Interesse, sondern auch die Frage, wie viel Zeit die oben angegeben Personen online verbringen. Die ARD/ZDF-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Intensität der Onlinenutzung gegenüber den letzten Umfragen weiter zugenommen hat. Die durchschnittliche Anzahl an Tagen, an denen die Nutzer online sind, hat sich von wöchentlich 3,3 Tagen (1997) auf wöchentlich 3,9 Tage (1999) erhöht. 20 Prozent der Nutzer gehen sogar täglich online – 1997 waren es lediglich 10 Prozent.

Entwicklung 
    der durchschnittlichen täglichen Online-Nutzungsdauer von 1997 bis 1999

Zusammen mit der Häufigkeit der Internetnutzung erhöhte sich auch die Nutzungsdauer. Die nebenstehende Grafik zeigt die Entwicklung der durchschnittlichen täglichen Online-Nutzungsdauer von 1997 bis 1999.

Die am Wochenende kontinuierlich höhere Nutzungsdauer wird vor allem durch Anwender erreicht, die erst seit relativ kurzer Zeit in ihrem privaten Bereich über einen Netzzugang verfügen. Besonders deutlich ist die kontinuierlich steigende Nutzung an Werktagen, die sowohl auf eine berufliche Nutzung schließen lässt als auch auf eine steigende Kontinuität innerhalb der privaten Nutzung.

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Präsenz der Einkommensgruppen im Internet in Prozent

4.3. Bruttoeinkommen der Onlinenutzer

Trotz der in 4.2. festgestellten breiteren Streuung der Internetnutzung innerhalb der gesellschaftlichen Schichten weist die Höhe des monatlichen Einkommens nach wie vor auf eine starke Präsenz des sogenannten Mittelstandes hin. Es ist jedoch zu beachten, dass untere Einkommens-gruppen (bis DM 4.000) dennoch stärker alsBezieher hoher Einkommen (ab DM 6.000) vertreten sind, was sich aber zum Teil durch den hohen Anteil Studierender und SchülerInnen erklären lässt.

 

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4.4. Meinungen der Nutzer zu Konsequenzen und Zukunft von Onlinemedien

Meinungen zu Konsequenzen von Onlinemedien im zeitlichen Verlauf (1997-1999)Nach einer Analyse der befragten Konsequenzen (siehe Diagramm) und zusätzlich abgefragter Zukunftserwartungen wurden in der ARD/ZDF-Studie innerhalb des Onlinepublikums drei Nutzertypologien festgestellt.Verteilung der Typologien 1998 und 1999

  1. Optimisten erwarten steigende Benutzerfreundlichkeit, verbesserte Angebotspalette und positive gesellschaftliche Auswirkungen wie Chancen-gleichheit, Ausbau zwischenmenschlicher Kontakte und Verständnis für andere Kulturen.
  2. Pragmatiker erwarten zwar höhere inhaltliche Vielfalt und bessere Handhabbarkeit des Internets, setzen sich jedoch differenzierter und skeptischer mit gesellschaftlichen Auswirkungen auseinander.
  3. Pessimisten
  4. befürchten mögliche negative Auswirkungen der CMC in der Gesellschaft. Genannt werden Reduzierung der Face-to-face-Kommunikation und Verstärkung sozialer Ungleichheiten sowie mangelnde Kontrollmöglichkeiten in Bezug auf kriminelle Inhalte.

Dem obigen Diagramm ist zu entnehmen, dass die Pragmatiker sowohl die größte Gruppe bilden als auch den größten Zuwachs zu verzeichnen haben. Es ist daher zu vermuten, dass sich mit zunehmender Dauer der Nutzung von CMC bei den Nutzern eine eher pragmatische Einstellung entwickelt.

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4.5. Zusammenfassung

Obwohl, wie beschrieben, eine zunehmende Verbreitung computervermittelter Kommunikation in breiten Gesellschaftsschichten zu verzeichnen ist, kann noch nicht davon gesprochen werden, dass (in Deutschland) Online-Medien Alltagsmedien im Sinne von Fernsehen, Radio oder Zeitungen sind. Jeder Erwachsene sieht täglich beispielsweise durchschnittlich 201 Minuten fern (Durchschnittswert 1998 – AGF/GFK, PC/TV). Auch ist zu beachten, dass sich die Bildungs- und Kapitalintensität von Onlinemedien deutlich von den Benutzerprofilen ablesen lässt. Zumindest bei den Internetnutzern haben Onlinemedien jedoch einen festen Platz im Alltag, wie sowohl Nutzungsfrequenz als auch Nutzungsdauer zeigen.

Die Zahlen der Onlinenutzer 1999 variieren zwischen 9,9 Millionen (GfK: http://www.ems.guj.de/marktforschung/gfk_welle4.html) und 11,2 Millionen (ARD/ZDF). Beide Studien verzeichnen aber einen enormen Zuwachs an Onlinenutzern innerhalb relativ kurzer Zeit. Der GfK Online Monitor geht bei unvermindertem Wachstumstempo von einer Verdreifachung der Internetreichweite innerhalb von drei Jahren aus. Von einer weiteren Verbreitung der Onlinemedien ist auch im Hinblick auf die Entwicklung in Ländern wie Schweden, Finnland und USA auszugehen. Trotz dieser absehbaren Entwicklung dürften Onlinemedien die vorhandenen Medien nicht ersetzen, sondern ergänzen. Besonders im Bereich des E-Commerce ist ein hohes Wachstumspotential zu erwarten, da besonders mittelständische Unternehmen das Internet bisher nur sehr begrenzt nutzen, und Onlinemedien durch ihren kommunikativ-interaktiven Aspekt neue Möglichkeiten der Produkt- und Dienstleistungspräsentation und Vermarktung bieten.

Auch auf dem Unterhaltungssektor sind Onlinemedien noch ausbaufähig und können hier meiner Meinung nach durch ihre interaktiv-spielerischen Möglichkeiten durchaus anderen Unterhaltungsmedien ernsthaft Konkurrenz machen. Vorstellbar wäre auch eine Erweiterung der direkten komplementären Funktion von Onlinemedien. Dies kann beispielsweise so aussehen, dass z.B. das Medium Fernsehen nicht nur Werbung für sich im Internet macht, sondern inhaltlich ergänzt wird. Kurznachrichten oder Informationen könnten dort ausführlicher behandelt oder mit entsprechenden Links versehen werden, als die Sendezeit es erlaubt, Chat-Rooms für Soap-Fans eingerichtet werden, wo die Drehbuchautoren vielleicht sogar Fans den Verlauf der Serie mitbestimmen lassen usw. Die klassischen Medien sind zumindest in Deutschland gerade erst dabei, das Potential des Internets zu entdecken – selbst die ARD/ZDF-Arbeitsgruppe Multimedia stellt das Internet nur als eine Art optimierten Werbeprospekt für Sender und Programme dar. Auch wenn viele Hoffnungen und Prognosen im Bereich Internet und vor allem E-Commerce den Vergleich zum biblischen Tanz um das goldene Kalb zulassen (so geschehen in "internet world" 05/2000), so kann doch gesagt werden, dass das Medium Internet noch viele (kommerzielle) Hoffnungen erfüllen kann. Auf potentielle Gefahren für unsere Gesellschaft wird in Kapitel 6 eingegangen.

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5. Modelle gesellschaftlicher Folgen

Angesichts der erweiterten Möglichkeiten der Kommunikation, die das Internet bietet, müssen nach Luhmann die an Anwesenheit gebundenen Erfolgsgarantien versagen – Kommunikation wird unwahrscheinlicher. Für die verschiedenen Möglichkeiten der Kommunikation müssen neue Bedingungen geschaffen werden, unter denen man mit einer Annahmewahrscheinlichkeit rechnen kann – die Gesellschaft muss sich verändern. Gesellschaft im Sinne Luhmanns ist jedoch anders zu verstehen als im alltagssprachlichen oder auch im soziologischen Zusammenhang. Für Luhmann besteht Gesellschaft nicht aus Menschen, sondern aus Kommunikation. Gesellschaft ist "die abschließende Gesamtheit der füreinander erreichbaren oder aufeinander bezugnehmenden Kommunikationen" (Krause 1996, S.102). Den folgenden Modellen liegt die soziologische Vorstellung von Gesellschaft als Handlungsrahmen von Individuen und (Organisations-)Form des menschlichen Zusammenlebens zugrunde.

 

1. Zerfallsmodell

Vertreter des Zerfallsmodells befürchten, dass computervermittelte Kommunikation letztendlich soziale Gemeinschaften – wie wir sie kennen – zerstört und die Individuen in Isolation und Einsamkeit führt. CMC wird im Rahmen des allgemeinen Wertewandels betrachtet. Die anonyme Massengesellschaft wird durch Ehelosigkeit, Kinderlosigkeit, Scheidung usw. geprägt, woraus alternative Lebensformen der Informationsgesellschaft entstehen wie Singles, nichteheliche Lebensgemeinschaften, Einelternfamilien etc. Die so ohnehin schon in "Single-Appartements" isolierten Menschen verbringen durch Netzaktivitäten nun noch mehr Zeit allein zu Hause. Diese Menschen kommunizieren zwar, aber im Netz bewegen sie sich nur in einer "virtuellen Gemeinschaft von Gleichgesinnten" (Döring 1997a, S.322) und kultivieren dort ausschließlich jeweils ihre eigene Sichtweise – ein Austausch bzw. eine Auseinandersetzung findet nicht statt, vielmehr wird die Zersplitterung der Gesellschaft in immer mehr Partikularinteressen gefördert: Tribalisierung statt Globalisierung (Habermas 1995).

 

2. Liberalisierungsmodell

Dieses Modell steht dem zuvor genannten entgegen. Zum einen wird die Entfernung der Lebensformen vom traditionellen Familienbild als Befreiung von Abhängigkeitsverhältnissen und gefühlsarmen, rigiden Zweck- und Notgemeinschaften gesehen (Diewald 1991, S.19ff.). Zum anderen wird die Möglichkeit, mit anderen Personen zu kommunizieren, die gleiche Interessen und Meinungen haben, völlig anders interpretiert – als Zuwachs an Handlungsspielräumen und als Richtung zu mehr Menschlichkeit. Nicholas Negroponte (S.277) spricht von "Dezentralisierung, Harmonisierung und Befähigung zum Handeln".

 

3. Ambivalenzmodell

Das Ambivalenzmodell versucht, im Gegensatz zu den vorherigen Modellen, Beziehungsveränderungen weder als positiv noch als negativ einzuordnen. Sie erscheinen vielmehr "als dialektische Mischung neuer Glücksoptionen und Unglücksrisiken" (Döring 1997a, S.322f.). Beispielsweise wird die Möglichkeit geschaffen, Beziehungspartnerinnen selbst zu wählen, gleichzeitig entsteht aber auch der Druck, attraktiv und interessant zu sein – soziale Nähe wird somit an eigene Leistung und Voraussetzungen gekoppelt.

 

4. Polarisierungsmodell

Dieses Modell geht davon aus, dass es Gewinner und Verlierer der Modernisierung geben wird. Es widerspricht damit der Annahme des Ambivalenzmodells, dass wir alle gleichermaßen von den Veränderungen profitieren und unter ihnen leiden.

Als Verlierer werden die bereits unterprivilegierten Schichten gesehen, welche die neuen Medien aufgrund ihrer Bildungs- und Kapitalintensität nicht nutzen können. Da die Teilhabe an Informationen immer mehr an Bedeutung gewinnt, werden diese Schichten weiter benachteiligt (Information Poor), die bereits privilegierten Schichten jedoch profitieren intensiv von den neuen Medien und erhalten weitere Vorteile.

 

Betrachtung

Man kann sagen, dass sich hinter den genannten Modellen eine zeitliche Entwicklung verbirgt. Die beiden Gegenpole Zerfallsmodell-Liberalisierungsmodell haben sich wohl in der Geschichte der Reflektion der CMC als erste herausgebildet. Sie spiegeln sowohl die Euphorie der Internetgründer wider als auch die Ängste und Befürchtungen konservativer Gruppierungen, vor allem aber zeigen sie, dass die Beurteilung der neuen Medien erheblich von der Einstellung gegenüber den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen abhängt.

Das Ambivalenzmodell und das Polarisierungsmodell sind im Verlauf der Entwicklung und Verbreitung des Internets deutlich später einzuordnen und haben eine entsprechend differenziertere Sichtweise. Während das Ambivalenzmodell ein rein beobachtendes und problematisierendes ist, beinhaltet das Polarisierungsmodell eine recht konkrete Handlungsaufforderung im politischen Sinne. Die Grundannahme, dass Information in unserer Gesellschaft immer mehr an Bedeutung gewinnt, ist ebensowenig von der Hand zu weisen wie der daraus folgende Schluss, dass diese, will man für soziale Gerechtigkeit sorgen, möglichst breiten Gesellschaftsschichten zur Verfügung zu stellen ist.

Beide, das Ambivalenzmodell und das Polarisierungsmodell, betrachten jedoch nur einen jeweiligen Teilaspekt der möglichen Auswirkungen von CMC auf die Gesellschaft unter dem Blickwinkel ihrer jeweiligen Einstellung gegenüber der CMC und der (sozial-) politischen bzw. zwischenmenschlichen Situation. Auf die beiden ersten Modelle trifft dies um so mehr zu, da sie in ihrer Einschätzung des Bestehenden deutlich differieren.

Um die möglichen Auswirkungen in ihrer Gesamtheit zu erfassen, bedarf es also eines anderen Ansatzes, als diese Modelle bieten können.

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6. Kommunikation und Gesellschaft

Niklas Luhmann beschrieb 1981 die These der Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation (Luhmann 1981). Diese Grundannahme seiner Systemtheorie erscheint mir als ein möglicher Zugang für das Verständnis und die Beurteilung der Auswirkungen von CMC auf die Gesellschaft.

Luhmann begreift Kommunikation nicht als Phänomen, sondern als Problem, welches in einer Gesellschaft überwunden werden muss. Damit Kommunikation überhaupt stattfinden kann, gilt es eine Mehrzahl von Problemen zu überwinden (vgl. Luhmann 1981, S.56f.):

 

Verstehen

Da Sinn nur im jeweiligen (Sinn-)Zusammenhang erfasst werden kann und als Zusammenhang, durch die Trennung und Individualisierung des Bewusstseins, für jeden nur das zur Verfügung steht, was sein eigenes Gedächtnis bereitstellt, ist es als unwahrscheinlich anzusehen, dass ein anderer überhaupt versteht, was der andere meint.

 

Das Erreichen von Empfängern

Dass eine Kommunikation mehr Personen erreicht, als in einer konkreten Situation anwesend sind, ist nach Luhmann ebenfalls unwahrscheinlich. Von der Aufmerksamkeit der Kommunizierenden kann nur in dieser konkreten Kommunikationssituation ausgegangen werden. Selbst wenn die Kommunikation einen Träger findet, der sie über diese Situation hinaus dokumentiert, bedeutet dies nicht, dass sie Aufmerksamkeit voraussetzen kann.

 

Der Erfolg

Selbst wenn eine Kommunikation ihren Empfänger erreicht und verstanden wird, ist ihr Erfolg weiterhin in Frage gestellt. Erfolg im Sinne Luhmanns kann beispielsweise sein, dass sich die Absicht einer Kommunikation erfüllt, dass sie verarbeitet und in eigenes Verhalten einbezogen wird.

 

Diese drei Hinderungsgründe machen Kommunikation bzw. das Ankommen bei einem Adressaten nicht nur unwahrscheinlich, sondern entmutigen auch denjenigen, der kommunizieren will. Die Kommunikation wird unterlassen, wenn das Erreichen von Personen zu unsicher erscheint. Kommunikation bildet aber die Grundlage sozialer Systeme – der Gesellschaft, wie wir sie kennen. Der Aufbau sozialer Systeme regelt sich daher durch die Art, wie die "Unwahrscheinlichkeiten des Kommunikationsprozesses" überwunden und in "Wahrscheinlichkeiten" umgewandelt werden.

Die Einrichtungen, die der Umformung unwahrscheinlicher in wahrscheinliche Kommunikation dienen, bezeichnet Niklas Luhmann als Medien. Zu diesen Einrichtungen zählen jedoch nicht nur die so genannten Massenmedien, die der Ausdehnung der Kommunikation auf Nichtanwesende dienen, sondern nach Parsons auch die so genannten "media of interchange" wie Geld, Macht, Einflussnahme und Verpflichtungen (money, power, influence and value commitments).

Das Internet kann als Massenmedium bzw. Verbreitungsmedium nach der Definition Luhmanns als eine "Technik der Extension der Kommunikation auf Nichtanwesende" betrachtet werden.

Es bedient sich, trotz fortschreitender Technik und entsprechend fortschreitender multimedialer Aufbereitung, hauptsächlich der Sprache als Medium. Verbreitungsmedien haben aber neben der Verbreitung und Erweiterung einer Kommunikation über die Face-to-face-Situation hinaus auch eine gedächtniserweiternde Funktion. Sie speichern selektiv und stellen (selektierte) Informationen für anschließende Kommunikation bereit, die zu einem anderen Zeitpunkt, in einer anderen Situation, zu anderen Bedingungen stattfinden kann.

Es ist meiner Meinung nach jedoch fraglich, ob das Internet als gesellschaftliches oder kommunikatives System oder (nur) als ein weiteres Verbreitungsmedium gesehen werden kann.

Das Besondere an den Massenmedien ist, dass sie sich selber veralten, da sie mit jeder neuen Information die alte Information in Nichtinformation verwandeln. "Einerseits saugen Massenmedien Kommunikation an, andererseits stimulieren sie weiterlaufende Kommunikation" (Luhmann 1996, S.176).

Dieses Vorgehen verdeutlicht Luhmann am Beispiel von Nachrichten und Berichten in Radio und Fernsehen, in denen permanent versucht wird, beim Rezipienten den Eindruck zu erzeugen, dass "das gerade Vergangene noch Gegenwart" (Luhmann 1996, S.55) sei und damit noch wichtig.

Die Massenmedien formen Kommunikationen und schaffen damit die Voraussetzung für weitere Kommunikationen. Die Wirkung der Massenmedien in der Gesellschaft besteht in der Formung der öffentlichen Meinung. Die Massenmedien sind dabei sowohl formgebend als auch zugleich repräsentativ in Bezug auf öffentliche Meinung (vgl. Krause 1996, S.131f.). Sie sind als eigenständiges System anzusehen, da eine Differenz von innen (System) und außen (Umwelt) festzustellen ist – sie sind im Sinne Luhmanns ein beobachtendes System.

Auf das Internet trifft dies jedoch meines Erachtens nur bedingt zu. Es ist eher als Verbreitungsmedium zu sehen, ähnlich Papier und Tinte, denn als System, da das Internet sich nicht selbst erzeugt oder ermöglicht, sondern durch die verschiedenen sozialen Systeme, die auf es zugreifen, benutzt wird. Die Informationsverarbeitung und -selektion wird nicht durch das Medium Internet selbst geleistet, sondern die sozialen Systeme entscheiden selbst, was für sie wichtig oder unwichtig ist. Die Eigenschaft der Autopoiesis des Systems "Massenmedien" wird im Falle des Internets aufgelöst.

Die Arbeitsweise der für den Verbreitungsprozess von Kommunikation nötigen Technologien strukturiert und begrenzt laut Luhmann das, was als Massenkommunikation möglich ist (Luhmann 1996, S.13.). Im Gegensatz zum sonst üblichen Ablauf von Kommunikation kann im Falle der Massenmedien keine Interaktion zwischen Sender und Empfänger stattfinden (Luhmann 1996, S.11). Die Empfänger machen sich nicht gegenseitig bemerkbar, sondern nur über Erhebungen der Absatzzahlen oder Einschaltquoten. Daher ist das System der Massenmedien auf eine Ermittlung der Akzeptanz auf der Empfängerseite außerhalb des eigentlichen Mediums angewiesen (Ortmann 1999).

Dies ändert sich mit interaktiven Medien wie dem Internet, da hier häufig eine direkte Rückmeldung erfolgen kann. Dabei ist jedoch zu beachten, dass im Internet, außer bei Internettelefonaten u.ä., schriftliche Kommunikation an vorhergehende oder weitere schriftliche Kommunikation anknüpft. Dadurch wird nicht unmittelbar an Kommunikationsereignisse angeknüpft, sondern durch den Prozess des Schreibens entsteht eine gewisse Zeitverzögerung. Selbst bei den als synchron bezeichneten Formen der CMC wie Talk oder Chat ist diese Verzögerung größer als in einer Face-to-face-Situation. Interaktion in einer klassischen Kommunikationssituation impliziert die Unmittelbarkeit der zeitlichen Abfolge. Darin unterscheidet sich CMC wesentlich von herkömmlicher Kommunikation. Ein Text kann überarbeitet werden oder nach mehrmaligem Durchlesen auch wieder verworfen werden - ein gesprochenes Wort kann nicht zurückgenommen werden.

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Wie kann es weitergehen? – Ein Fazit

Die vorliegende Arbeit unterteilt sich grob in einen beschreibenden Teil und einen interpretierenden Teil. Die Kapitel 2,3 und 4 befassen sich mit messbaren und daher leichter nach zu vollziehenden Eigenarten der CMC. In Kapitel 2 wurden die wesentlichen Unterschiede zwischen Face-to-face und Screen-to-screen-Kommunikation beschrieben. Diese lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

In Kapitel 3 wurde auf Nutzungsstile und –identitäten eingegangen sowie auf die Beziehungsbildung per Internet, die mir thematisch naheliegend erscheint. Dabei ist bei der Einteilung der Nutzungsstile diese Arbeit gewissermaßen von der Zeit überholt worden - beinahe zeitgleich ist eine neue Studie zum Thema erschienen: McKinsey&Company und Media Metrix haben eine Klassifizierung in sechs Nutzertypen anhand einer Studie mit 50.000 aktiven Online-Konsumenten vorgenommen, um Erfolgsstrategien für E-Business zu schaffen – vielleicht kann ich sie ja in meiner nächsten Arbeit zum Thema verwenden ;)

Kapitel 4 stellt anhand (noch) aktueller Studien die Soziodemographie der Online-Nutzer dar. Aus der Betrachtung der Verteilung der Online-Nutzer in unserer Gesellschaft und den besonderen Eigenschaften der CMC müssen zwangsläufig erste problematiseirende und interpretierende Ansätze entstehen, die je nach Einschätzung der gesellschaftlichen Lage variieren. Bevor man jedoch Modelle gesellschaftlicher Folgen entwerfen kann, stellt sich die Frage, welchen Stellenwert Kommunikation in unserer Gesellschaft hat und was die Veränderung unserer Kommunikation für unsere Gesellschaft (im soziologischen Sinne) bedeutet. Auf diese Fragen wurde in Kapitel 5 und 6 eingegangen. Dabei hat sich meiner Meinung nach gezeigt, dass die beschriebenen Modelle gesellschaftlicher Folgen nur bedingt zur wissenschaftlichen Betrachtung des Phänomens der CMC geeignet sind. Die genannten Modelle sind sowohl in ihrer Art der Betrachtung als auch in ihrer normativen Wertung geprägt von jeweils unterschiedlichen Vorstellungen davon, was innerhalb dieser Gesellschaft erstrebenswert ist und was nicht. Die Möglichkeiten der Betrachtung sind dadurch in gewisser Weise eingeschränkt.

In der Systemtheorie Luhmanns ist die Wissenschaft ein beobachtendes System (Luhmann selbst natürlich eingeschlossen). Die Systemtheorie ist nicht normativ, da nach Luhman Normen die Einheit der Differenz von konformen und nichtkonformen Erwartungen sind. Dabei ist die Konformität des Erwartens durch nichtlernbereites Erwarten gekennzeichnet (vgl. Krause, S.136).

In dieser Arbeit konnte eine Einordnung der neuen Medien in die Systemtheorie nicht abschließend erfolgen. Dies zu beabsichtigen wäre wohl auch vermessen gewesen. Jedoch ist meiner Meinung nach die Frage wie CMC in das System der Massenmedien eingeordnet werden kann, oder ob Onlinemedien vielleicht doch zumindest auf dem Weg sind ein eigenes System zu werden, von großem Interesse.

Um die in der Einleitung formulierte Erwartung zu erfüllen, einen theoretischen Ansatz zur Beurteilung möglicher Folgen und Auswirkungen der CMC zu finden, müsste auf die Theorie Luhmanns in einer Weise eingegangen werden, die den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Außerdem wäre es meiner Meinung nach notwendig einen Vergleich anzustellen, zwischen der Theorie Luhmanns und einer weiteren Theorie über Kommunikation in der Gesellschaft. Geeignet erscheint mir hierfür das Hauptwerk von Habermas, die "Theorie des kommunikativen Handelns". Die Theorien Habermas‘ und Luhmanns sind annähernd zeitgleich entstanden, und beide setzen sich in Ihren Werken kritisch mit der Theorie des anderen auseinander und beziehen konträre Positionen. Besonders mit der Differenzierung von "System" und "Lebenswelt" und der Tatsache, dass Habermas nicht nur die Frage stellt, wie unsere (moderne) Gesellschaft aussieht, sondern auch wie sie sein könnte, setzt er sich deutlich von der Systemtheorie Luhmanns ab. Gleichzeitig bezieht Habermas sich mit dem von ihm verwendeten Systembegriff direkt auf die Systemtheorie Luhmanns. Ein Vergleich dieser beiden Theorien unter dem Aspekt ihrer Bewertung und Einordnung von Medien könnte also diese Arbeit sinnvoll weiterführen.

Die neuen Medien sind Bestandteil unserer Zukunft und werden entsprechenden Einfluss auf unsere Gesellschaft haben. Aufgrund der zeitlichen Nähe zum Phänomen ist eine Interpretation entsprechend schwierig – nur was Vergangenheit ist, lässt sich abschließend beschreiben. Jedoch gehören Zukunftsperspektiven, auch wenn sie sich als unzutreffend erweisen sollten, zum wichtigen öffentlichen Diskurs unabdingbar dazu.

Dreifach ist der Schritt der Zeit:

Zögernd kommt die Zukunft hergezogen,

Pfeilschnell ist das Jetzt entflogen,

Ewig still steht die Vergangenheit.

(Schiller "Spruch des Konfuzius")

 

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Quellenverzeichnis

 

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