Gäste und ihre sprachlichen Spuren im Internet 

    László Farkas und Kitty Molnár

    Universität Hannover
    Seminar für deutsche Literatur und Sprache
    WS 1998/99
    Seminar: Sprach- und Kommunikationswandel durch das Internet
    Seminarleiter: Prof. Dr. Peter Schlobinski
     


     
     

      Inhalt______________________________
       

      Einleitung (Was ist passiert?)
      Der Begriff des Gästebuches
      Physikalischer Aufbau und technische Herstellung
      Sprachliche Merkmale der Gästebücher
      Vergleich mit den anderen Kommunikationsformen
      Nachwort

     

     

    Einleitung (Was ist passiert?)_______________

    In den letzten fünf Jahren ist eine enorme Kulturveränderung im Netzwerkbereich vor sich gegangen. Die Welt hat sich gespalten: Man kann eine schmale Schicht der Systembetreuer und Systemverwalter beobachten, die für den richtigen Betrieb des Weltnetzes sorgen, und daneben lebt noch eine breite Gesellschaft, eine Gruppe der Internetbenutzer, die sich täglich einloggen und die Möglichkeit des Internets ausnutzend Informationen erwerben und tauschen. Da am Anfang die Zahl der Benutzer noch sehr begrenzt war, und sie eine beinahe isolierte Gemeinschaft bildeten, entwickelte sich der zusammen angewendete Kontext zu einer spezifischen Internetsprache, die mit Fachbegriffen, Abkürzungen und Jargon sehr belastet war. Diese Sondersprache hat sich auf alle Gebiete der Netzwerkkultur verbreitet. Im World Wide Web (WWW) gibt es immer noch diese zwei Lager: Eine Gruppe der Benutzer gestaltet Internetseiten und sie stellen ihre Arbeiten, persönlichen Vorstellungen, usw. im Netz zur Verfügung, und die andere Gruppe ruft ab, liest und kommentiert oft diese Seiten. Der innere Kommunikationszwang und das ständige Mitteilungsbegehr sind nie zu Ende.
     
     
     

    Der Begriff des Gästebuches_______________

Die in HTML geschriebenen und mit sämtlichen Graphiken und Bildern versehenen Werke sind sehr zerbrechlich und (hauptsächlich für ihre Autoren) wertvoll. Eine gut ausgestattete Web-Site mit vielen wichtigen Informationen könnte eine elektronische Abbildung oder Metapher für ein existierendes Museum oder eine gelegentliche Ausstellung sein. Das unentbehrliche Zubehör der Museen ist das Gästebuch, in das die Besucher ihre Bemerkungen, Mitteilungen und sonstige Zeichenzeilen, ASCII-Graphiken, Emoticons eintragen können. Die Funktionen der Gästebücher in den "virtuellen" Museen sind vielfältig. Während die Counter (Zähler) eine passive, nur statistische, anonyme, und nur in Zahlen ausgedrückte Kontrollierung der Besucher sind, ist das Gästebuch aktiv, eine ausführliche Statistik mit Namen und Textdaten und drückt auch die Umstände des Besuchs aus. Einerseits können die Besucher ihre Meinung, Kritik, Reaktionen und Lob für den Eigentümer der Web-Seiten ausdrücken, andererseits funktioniert das Internetgästebuch als Pinnwand: hier können die Menschen eine Spur hinterlassen, daß sie hier gewesen sind. Sie verewigen sich für die Nachwelt, grüßen den Autor dieser Seite, bitten um Information über die Web-Site, oder sie wollen einfach auf diese Weise etwas mitteilen, Werbung machen. Das erinnert an Privatanzeigen in der "Allerlei"-Kategorie. Die Einträge können ähnlich wie Telegramme sein. Durch diese Vielfalt an Funktionen und die verschiedenen Typen der Einträge machen die Gästebücher für eine sprachlich-kommunikative Untersuchung geeignet.


 

Physikalischer Aufbau und technische Herstellung_________

Das Gästebuch beginnt ursprünglich mit einem Formular, einem Fragebogen, das aus mehreren Elementen besteht. Die Programmiersprache ist meistens HTML (HyperText Markage Language), aber neue Codes und Dateiendungen [.cgi (Common Gateway Interface), .pht (Pacific Hi-Tech) .pl (Perl)] kommen öfter vor, die in dem herkömmlichen Browser problemlos angezeigt werden können, da diese Scripte auf dem Webserver ausgeführt werden. Die Gästebücher sind im allgemeinen ein Service eines Internet-Providers, oder eine Dienstleistung der Web-Unternehmen, die für eine kleine Gebühr oder kostenfrei eine komplette Gästebuch-Seite auf ihrem Web-Server anbieten. Das Aussehen und die verschiedenen Funktionen können von den Benutzern und dem Homepageeigentümer eingestellt werden, sie können die Optionen flexibel und beliebig wählen. Die Benutzer bekommen dann ein Passwort, eine numerische Benutzerkennung, mit dem sie zu ihrer Gästebuch Zugriff bekommen und es verwalten. Die Homepage-Besitzer erhalten die nötigen Quellcodes, die in den entsprechenden Seitenteil eingefügt werden müssen.

Der physikalische Aufbau eines Gästebuch-Eintrageformulars enthält bestimmte Elemente.

Weil die Gästebuch-Besitzer nicht immer Privatpersonen sind, sondern auch Unternehmen, Firmen oder Gemeinden sein können, dient das Gästebuch für sie als Evaluation und als direkter Draht zum Kunden und es hat auch Marketingziele: Die wirtschaftlichen Unternehmen können über ihre Besucher, Interessenten und damit über ihre Marktsegmente Informationen gewinnen. Man kann dort Fragebögen oder Wahlknöpfe finden.

Diese Eintragsfelder sind verschieden gestaltet, und es gibt eine Menge von Variationen. Manche Fragen müssen nicht unbedingt beantwortet werden, aber einige Einträge (Name, E-mail) sind obligatorisch. Es hängt eigentlich vom Besitzer ab, welche Informationen er über seine Besucher bekommen will.

Die Einträge kommen kontinuierlich an und sie sind zeitlich nacheinander  geordnet. Die Reihenfolge ist nicht veränderbar. Zu den Bemerkungen werden automatisch noch Angaben, wie z. B.
 
 

      • Zeit: [Einsendezeit: 1998-11-28 15:38:00 MET ],
      • Record: [Eintragsnummer zur Identifizierung]
      • Machinenname / Home: von mars-cn.germany.net

hinzugefügt.

Man kann dem Webmaster auch Privatmitteilungen schicken, aber man braucht dazu das nötige Paßwort. Dieser Eintrag erscheint auf der Liste nicht, nur der Hinweis. Diese Einträge sind oft geheim oder sehr persönlich, und nur der Autor hat das Recht, sie zu lesen.


 

Nach formalem Aspekt_________________

Im Grunde genommen bestehen die Einträge aus kurzen und knappen Sätzen, die meistens unteneinander stehen. Die Formulierung ist sehr prägnant und einfach. Oft fehlen die Begrüßungsformen und/oder die Unterschrift (letzteres steht doch schon in den Kopfzeilen), aber die Besucher können das auch ausschreiben.

Das Mitzuteilende ist durch die Verwendung der Interpunktion verstärkt. Obwohl das aus den umgangsprachlichen Spechintentionen, dem Nachdruck und der pragmatischen Bedeutung kommt, findet man hinter den graphischen Zeichen nur das Motiv der Aufmerksamkeitserregung, und die gehäuften Aufrufezeichen stehen auch statt der einfachen Aussageform. Aufforderungen werden mit diesem Mittel nur selten ausgedrückt und das beweist die Veränderung des modalen Bedeutungsaspektes, wo die Satztypen gar nicht nach ihren Funktionen benutzt werden.

Man kann sehr viele sonstige Ausdrucksmittel in den Einträgen finden, z.B. Akronyme (MFG = Mit Freundlichen Grüssen, PS = Post Scriptum, HP = HomePage, CU = See You, usw.), Emoticons, Thesaurierung der Buchstaben und Interpunktionszeichen. Die Steigerung des Mitzuteilenden geht manchmal durch die Benutzung von CAPS LOCK, was die Netiquette übrigens verbietet.

Es gibt sehr selten auch manchmal die begrenzte Möglichkeit, Farben, Sonderzeichen oder Bilder (Bannerbild) in den Eintrag einzufügen.
 


 
 

Nach inhaltlichem Aspekt_________________

Die Inhalte sind verschieden.

  • Gratulation
  • Grüsse
  • Reaktion, Kommentar, Kritik zur Homepage, zum Inhalt, Grafik, usw.
  • Meldung / Spur hinterlassen
  • FAQ / Mitteilung dem Webmaster / Bitte um Infos
  • Humor
  • Private E-mail / offener Brief (Provokation)
  • Test

Die Gästebuch-Einträge können sich zu einem Online-Forum oder einer unmoderierten Diskussion zusammenweben, wo sich ein echter Thread (Faden) entfaltet. Hier funktionieren die deiktische Bedeutung, die elliptischen Sätze, Anapher und Katapher im Text. Interessant ist der menschliche Erwartungsprozess, da sich die Inhalte der Einträge oft wiederholen. Man kann das nur darauf zurückführen, daß die Besucher zuerst die Einträge von anderen lesen, und nur dann ihre Meinung äußern.


 

Vergleich mit den anderen Kommunikationsformen___________

Die Gästebücher vereinigen die Eigenschaften von mehreren Internet-Kommunikationstypen. Aus dem schriftlichen Charakter der E-mail bewahren sie die Knappheit, die Reduziertheit und graphostilistischen Mittel der Internetsprache. Aus dieser Quelle können die dialektischen Ausdrücke, Schreibweisen und Abkürzungen identifiziert werden. Aus der Chat-Kommunikation kommt die Anwendung der Smilies, die verschiedenen Akronyme, die emotionale Darstellung und manche Pseudonyme. Die Existenz von Threads hat das Gästebuch von den News geerbt. Die große Anzahl von graphischen Elementen und Oberflächen gehört zu den hervorstechenden Eigenschaften der WWW-Sites.
 

Nachwort_____________________

Die Museumsbesucher in der herkömmlichen, realen Welt lassen ihre wirkliche Handschrift in den Gästebüchern. Solche verschiedene Handschriften, Tintenfarben, kalligraphische Zeichen und dazu ein individueller Inhalt fehlen jedoch in den Internet-Gästebüchern.